Der Weg der tausend Meilen beginnt mit einem Schritt

Der Weg der tausend Meilen beginnt mit einem Schritt

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Im Gebäude des Biologie- und Zoologie-Instituts der Freien Universität Berlin in der Königin-Luise-Straße organisiert Vanessa Hava Schulmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Dozentin für Humanbiologie, die Seminarreihe „MEETING THEM – PROVENANCE PROJECT – SEMINARS“. Am Dienstag, dem 25. Juni fand die Diskussion „Mangi Meli and finding your ancestors“ statt, wo Mnyaka Sururu Mboro (Berlin Postkolonial e.V.), und Merel Fuchs, (Decolonize Berlin e.V.) eingeladen waren.

„We Want Them Back“

Mboro berichtet, wie er von seiner Großmutter Geschichten über Mangi Meli hörte, Anführer des Volkes der Chagga im heutigen Tansania, der gegen den deutschen Kolonialismus kämpfte und dabei verhaftet, gehängt und enthauptet wurde. Später wurde sein Kopf nach Deutschland mitgenommen. Seine Großmutter erzählte ihm viel über die Geschichte seines Volkes und die Gräueltaten der Kolonialzeit, weshalb Mboro ihr versprach, den Kopf von Mangi Meli zurückzubringen. Als er 1978 ein Stipendium in Deutschland erhielt, ergriff er die Chance, sein Versprechen einzulösen. Für ihn war es von höchster Bedeutung, die menschlichen Überreste seiner Vorfahren, die nach Deutschland überführt worden waren, ordnungsgemäß zu bestatten. Er berichtet, dass die lokale Bevölkerung fest daran glaubt, dass unbestattete Ahnen das Gleichgewicht der Natur stören könnten, was sich in Naturkatastrophen äußert. Für Mboro und viele andere ist es essenziell, den Ahnen einen würdigen Abschluss zu ermöglichen.

Deshalb gründete er die Organisation „Berlin Postkolonial“, um sich für die Rückführung von menschlichen Überresten und kulturellen Artefakten einzusetzen. Diese Bemühungen sollen die historischen Ungerechtigkeiten der Kolonialzeit korrigieren. In Tansania gibt es Gräber, die leer sind oder in denen man sieht, dass der Kopf fehlt – ein Symbol der kolonialen Enteignung und des kulturellen Raubes.

Merel Fuchs, eine weitere prominente Stimme in dieser Debatte, betont die Notwendigkeit eines Perspektivwechsels im Umgang mit solchen sensiblen Themen. Sie erklärte, dass der Titel der Initiative „We Want Them Back“, die unter anderem eine App und ein wissenschaftliches Gutachten zum Bestand menschlicher Überreste aus kolonialen Kontexten ist, eine klare Forderung sei. Fuchs spricht über die verschiedenen Ansätze, wie man respektvoll über die Überreste von Ahnen sprechen und sie darstellen kann. Dazu gehören unter anderem handgezeichnete Darstellungen anstelle von wissenschaftlichen Methoden, die oft kalt und distanziert wirken. Die entwickelte App mit dem Titel „We Want Them Back“ nimmt die Nutzer auf eine Reise mit und verdeutlicht die Absurdität des Rückführungsprozesses. Diese App dient als Plattform für Austausch und Verständnis für die Herangehensweise von Museen und Sammlungen, ohne dabei rassistische Stereotypen zu fördern.

„Dieser Mangel an Respekt tut am meisten weh

Ungefähr 17.000 sogenannte „menschliche Überreste“ sollen sich in den deutschen Museen befinden. Allein in Berlin zählte Decolonize Berlin, durch die Rückmeldungen von unterschiedlichen Institutionen, mindestens 5.958 Überreste von Menschen, deren Aneignung im kolonialen Kontext situiert ist. Viele Museen und Institutionen sind verschlossen und nicht transparent im Umgang mit diesen sensiblen Themen. Fuchs kritisiert, dass einige Institutionen sich offen zeigen, während es mit anderen äußerst schwierig ist, zu kommunizieren.

Auf eine Frage aus dem Publikum, welche Möglichkeiten Institutionen haben, um die Vorfahren aufzubewahren, antwortet Mboro, dass der Prozess oft einem Ping-Pong-Spiel gleicht: Institutionen lügen und vermeiden Antworten. In einem Fall, an dem er beteiligt war, kam erst, als die Botschaft eingeschaltet wurde und man Herkunftsforschung betreiben wollte, Bewegung in den Fall. Mboro erklärte den Schmerz, indem er eine Analogie zog: „Was wäre, wenn man den Altar aus einer lutherischen Kirche entfernen würde? Wäre es dann noch eine Kirche?“

DNA-Proben und DNA-Abgleiche halfen, einige Vorfahren zurückzubringen. Doch Institutionen informierten oft die Medien, bevor sie die Familien benachrichtigten, was einen respektlosen Umgang mit den betroffenen Familien und Gemeinschaften zeigt. „Dieser Mangel an Respekt tut am meisten weh“, erklärt Mboro.

In Schuhkartons, auf Holztischen, ohne weißes Tuch

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Merle Fuchs betont, dass die Rückgabe der sterblichen Überreste ein politisches Ziel ist, jedoch verhalten sich die Institutionen respektlos gegenüber der Zivilgesellschaft – ein offensichtliches Paradoxon. Mboro hebt hervor, dass inzwischen, die Heimatgesellschaft unruhig wird und oft der Meinung ist, dass die Bemühungen keine Ergebnisse bringen: Sie fühlen sich betrogen. Die Vorstellung, dass Deutschland, ein „fortgeschrittenes Land“, nicht kooperieren will, ist schwer zu akzeptieren.

Auf die Frage, ob es Fortschritte oder eine Zukunft für die Rückführung gibt, antwortet Mboro, dass es am Anfang wie ein Krieg war. Doch mittlerweile gibt es viele Demonstrationen und Durchbrüche in den Medien, jedoch fehlt eine entsprechende Anpassung des Lehrplans in den Schulen. Der deutsche Kolonialismus und dessen immer noch gegenwärtigen Folgen werden zu wenig thematisiert. Der Mitgründer von Postkolonial Berlin erzählte, dass als ein paar gefundene Nachkommen nach Berlin kamen, kein deutscher Beamter auf sie gewartet habe. Die menschlichen Überreste wurden in Schuhkartons aufbewahrt. „Auf den alten Holztischen, war nicht mal ein weißes Tuch“, beschreibt er empört – ein Zeichen der Geringschätzung. „Wie kann man um Versöhnung bitten, wenn man nicht um Vergebung bittet?“, fragt Mboro.

Fuchs ergänzt, dass der Mangel an finanziellen Mitteln oft die Rückführung behindert. Laut ihr plant die deutsche Regierung in der Zukunft eine Plattform anzubieten, wo finanzielle Mittel bereitgestellt werden, um die betroffenen Familien einladen zu können, doch noch bleibt der Kampf um die Rückführung der Ahnen ein langwieriger und schmerzhafter Prozess.

Alexandra Enciu