Kolonialismus-Aufklärung an Schulen?
Obwohl Deutschland mit der Berliner Konferenz historisch vielleicht sogar so etwas wie der Ausgangspunkt des Kolonialismus war, werden das Thema und seine bis heute relevanten Folgeerscheinungen an Schulen in Deutschland bislang nur sehr sporadisch behandelt.
„Kolonialgeschichte wird an Schulen in Deutschland nicht unterrichtet“, sagte Kofi Shakur, Student, Aktivist und Journalist, in einer Podiumsdiskussion auf dem KENAKO Afrika Festival im September 2020. Viele andere Personen äußerten sich besonders in den letzten Jahren ähnlich. 2020 startete Abigail Fugah eine Petition, um Kolonialismus an Schulen in NRW in den Lehrplan aufzunehmen, und fast 100.000 Personen haben sie bisher unterschrieben (Stand: 24.02.2021).
In fast allen Bundesländern gibt es eine ähnliche Diskussion. Der Dachverband hessischer Geschichtslehrer*innen beispielsweise kritisierte die Online-Petition als zu pauschal, die es in ähnlicher Form auch in diesem Bundesland gab. Außerdem werde dort in der gymnasialen Oberstufe das Thema bereits anhand der Kolonie Deutsch-Südwestafrika thematisiert. Nichtsdestotrotz erreichte die Petition auch hier knapp 100.000 Unterschriften.
In Niedersachsen wurde im September 2020 von den Grünen ein Antrag eingebracht, nach dem das Thema mehr in den schulischen Unterricht einfließen soll. Dieser wird zwar von der rot-schwarzen Regierung unterstützt, tatsächliche Aktionen gab es bisher jedoch noch nicht.
In Berlin und Brandenburg taucht das Thema Kolonialismus nur als mögliches Wahlmodul in Geschichte auf, Sklaverei wird unter dem Überbegriff „Migration“ behandelt. In Berlin gibt es allerdings seit Juli 2020 ein Programm, das Projekte unterstützen soll, die die Thematisierung von Kolonialismus in den Schulen fördern. In dem Programm können Projektwochen, einzelne Unterrichtsbausteine oder Ähnliches konzipiert und gefördert werden, die sich mit Kolonialismus auseinandersetzen und vor allem Schüler*innen dazu anregen, selbiges zu tun.
Eine Verankerung im Lehrplan ist damit aber natürlich längst nicht geschaffen, dabei heißt es im Koalitionsvertrag der CDU/CSU und SPD von 2018: „Wir wollen die kulturelle Zusammenarbeit mit Afrika verstärken und einen stärkeren Kulturaustausch befördern, insbesondere durch die Aufarbeitung des Kolonialismus.“ Wie genau die benannte Aufarbeitung stattfinden soll, wird darin jedoch nicht definiert. So kommen junge Menschen in Deutschland bis heute oft erst in der Universität in Berührung mit der Kolonialhistorie ihres Landes. Personen, die diese Hochschulbildung nicht erhalten, haben umso seltener überhaupt Kenntnisse darüber. „Es wird davon ausgegangen, dass es um einen Teil der Geschichte geht, der weit weg ist, der nichts mehr mit unserer Gegenwart zu tun hat – einen Teil, der abgeschlossen ist. Die meisten in Deutschland haben überhaupt keine Vorstellung davon, dass Deutschland überhaupt Teil des kolonialen Unterfangens war“, gibt auch Afrikawissenschaftlerin Josephine Apraku in einem Interview mit der taz zu bedenken. Dies sei insofern problematisch, da diese Aufklärung auch ein bedeutender Bestandteil von Rassismus-Aufklärung ist.
Gute Aufklärung und Unterrichtsmaterialien führten automatisch zu einer rassismuskritischen Bildung, da sind sich viele einig, die sich mit der Materie beschäftigen. Die andauernden Kontinuitäten des Kolonialismus, die sich unter anderem in Alltagsrassismen niederschlagen, die die Black Lives Matter Bewegung und daraufhin auch die LoNam als Thema 2020 endlich in den Fokus rückten, werden damit konsequenterweise mit reflektiert. Folgerichtig müssten bestehende Unterrichtsmaterialien kritisch auf ihre Kernaussagen und Perspektiven geprüft werden, und neue sollten entstehen, die sicherstellen, dass die Aufklärung über Kolonialgeschichte und ihre Folgen als fester Bestandteil in der Grundbildung aller in Deutschland Sozialisierten verankert wird.
Auffällig bei der Diskussion über eine Verankerung des Themas in den Lehrplänen ist, dass sich bisher vor allem Schwarze Mitglieder unserer Gesellschaft dafür engagieren. Dabei ist die damit verbundene Geschichte doch unser aller, und auch aus ihr fortbestehende Konsequenzen betreffen jede*n von uns, was den meisten jedoch wohl erst bewusst werden muss. In der Tat sollte es ein gesamtgesellschaftliches Bestreben sein, unser Bildungssystem diskriminierungsfrei zu gestalten, und wir sollten uns alle dafür einsetzen, dass auch die Weißen Deutschen endlich verstehen, dass Kolonialismus und die Aufklärung darüber uns alle angeht!
Ronja Zoe Schultz & Julia Bittermann
Dieser Beitrag wurde ursprünglich in unserem gedruckten April/Mai 2021-Ausgabe veröffentlicht.