Ostern wie in Eritrea
Viele Gesichter drehten sich zu mir um, als ich am Sonntag die Tür von Yerusalems und Shewits Zimmer öffnete. Die Eritreerinnen erwarteten mich schon. In der Mitte des kleinen Zimmers stand eine gut bestückte Tafel mit sehr viel Essen. Mehrere Schüsseln voll mit Lamm, Huhn und Rind lächelten mir entgegen, denn an diesem Tag wurde in Zimmer 224 im Asylheim Lehnitz (Brandenburg) Ostern gefeiert.
Als ich Yerusalem und Shewit vor drei Wochen kennen lernte, lenkten sie nach einem Konzert in Oranienburg bei Berlin am Buffett meine Aufmerksamkeit auf sich. Anstatt – wie ich – zuzuschlagen und sich von Couscoussalat bis Käsekuchen alles auf den Teller zu laden, nahmen sie sich bescheiden etwas Brot und Marmelade. Beide fasteten. „Für Gott“, erklärten sie mir auf Nachfrage. Denn die jungen Frauen gehören der christlich-orthodoxen Kirche an und erinnern sich durch das Fasten vor Ostern an die Leidenszeit Christi.
An diesem Sonntag endete das Fasten und damit der Verzicht auf Fleisch, Milch, Eier und alle weiteren tierischen Produkt und es wurde eine Feier zur Erinnerung an die Auferstehung Christi ausgetragen. Weil ich Yerusalem und Shewit seit unserem Kennenlernen regelmäßig Nachhilfe in Dutsch gebe, war auch ich eingeladen, mit ihnen und ihren Freund_innen zusammen Ostern zu feiern. Zuerst wunderte ich mich darüber, dass sie Ostern einen Monat später feierten als die (katholischen und evangelischen) Christen hierzulande. Doch als ich mich näher informierte, erfuhr ich, dass orthodoxe Christen das Osterfest nach dem julianischen Kalender datieren und nicht, wie wir, nach dem gregorianischen Kalender.
Als ich Sonntagnachmittag zu der Feier dazustieß, hatten die rund zehn Eritreer_innen schon gegessen, hießen mich aber freudestrahlend willkommen. Gefeiert wurde traditionell in weißen Kleidern. Zudem hatten sämtliche Frauen sehr schön geflochtene Frisuren, die alle sehr kompliziert aussahen. Sofort nach meiner Ankunft wurde mir ein Teller mit einer bunten Zusammenstellung von Fleisch angeboten. Jedoch fehlte das Besteck, oder etwa nicht? Lachend wurde diese Frage von Shewit verneint. „Du musst mit den Fingern essen.“ Sie machte es mir vor, dafür riss sie ein Stück von dem schwammartigen Fladenbrot namens Injera ab, das in der Mitte des Tisches stand. Damit fasste sie geschickt etwas Fleisch und Soße und schob es sich in den Mund. Ich versuchte auf die gleiche Art und Weise zu essen, stellte mich anfangs aber noch ziemlich ungeschickt an und kassierte ein paar Lacher. Zum Fleisch gab es mehrere Soßen, die alle sehr scharf waren. „In Eritea ganz normal“, erklärte mir Yerusalem.
Nach dem Essen saßen wir noch eine Weile zusammen am Tisch und Yerusalem erzählte. Am Samstag zuvor waren alle Eritreer_innen zusammen in einer orthodoxen Kirche in Berlin-Schöneberg, die mittlerweile sogar Gottesdienste auf Tigrinya anbietet, der Muttersprache von Yerusalem und Shewit. Dort verbrachten sie mehrere Stunden und feierten zusammen mit vielen anderen Eritreer_innen aus Berlin und Umgebung Ostern. Am Sonntag folgte dann das gemeinsame Essen. Nach einer sehr schönen Osterfeier, verließ ich das Asylheim mit einem wohligem Gefühl in Bauch und Herz. Ich freute mich sehr darüber, eine christlich-orthodoxe Osterfeier miterlebt und die herzliche Gastfreundschaft von Eritreer_innen kennengelernt zu haben.
Manon Filler