Verfassungsreferendum schränkt Gewaltenteilung in Tunesien ein
Am 25. Juni wurde in Tunesien eine Verfassungsänderung mit weitreichenden Folgen angenommen. Innerhalb der Bevölkerung sind die Meinungen darüber geteilt. Während viele Stimmen eine Gefährdung der Grund- und Menschenrechte befürchten, halten es andere nicht für möglich, dass Tunesiens Wirtschaft sich in einer Demokratie erholen kann.
Am 25. Juli wurde in Tunesien eine Verfassung per Volksabstimmung gewählt, welche die Entscheidungsmacht und die Rechte des Präsidenten stärkt. Saied steht nun per Gesetz über dem Parlament, der Judikative und der Exekutive. Er kann nicht mehr des Amtes enthoben werden und muss seine Entscheidungen gegenüber keiner Instanz mehr rechtfertigen.
Ein Anteil von 27,5% der wahlberechtigten Bevölkerung hat bei der Abstimmung von seinem Wahlrecht Gebrauch gemacht, davon haben ca. 92% der Wählenden für die neue Verfassung gestimmt. Dass nur ca. ein Viertel der Bevölkerung gewählt hat, liegt zum Teil daran, dass die Opposition zu einem Boykott der Wahlen aufgerufen hat. Sie hat die Wahl als nicht rechtens erklärt. Obwohl es eine Kommission gab, die eine Verfassung entwickelt hat, wurden die von ihr entwickelten Inhalte nicht in die Verfassung aufgenommen, über welche am 25. Juli abgestimmt wurde. Diese Verfassung hat Saied geschrieben.
In Tunesien ist die wirtschaftliche Lage angespannt. Der Weltbank zufolge sind 18,4% der Bevölkerung arbeitslos und im Juni lag die Inflationsrate bei 8,2 %. Die Menschen, die für die neue Verfassung gestimmt haben, glauben, dass sich die Wirtschaft Tunesiens mit einem von Kompromissen geprägten politischen System nicht erholen kann. Deswegen reformiert der Präsident das politische System und verspricht zum Beispiel, ländliche Regionen stärker als zuvor vertreten zu lassen.
Genau ein Jahr vor dem Verfassungsreferendum löste der Präsident das Parlament auf und regierte seitdem per Dekret. Damals hatte sich die Hälfte der Abgeordneten gegen den Präsidenten vereint, um den Ausnahmezustand, auf dem die Legitimität eines Regierens per Dekret beruht, für nichtig zu erklären. Durch die eingeschränkte Gewaltenteilung sind Grundrechte und Menschenrechte in Tunesien in Zukunft nicht mehr garantiert.
Annika Hübner