Historische Schmach, die Hoffnung macht
Erstmals seit 36 Jahren überstand kein afrikanisches Team bei der WM die Vorrunde. Dennoch war der Gesamtauftritt Afrikas in Russland besser als bei den letzten Endrunden.
Damit das sofort klar ist: Es handelt sich hierbei um keine Rechtfertigung oder eine Schönmalerei des afrikanischen Desasters bei der Fußballweltmeisterschaft (WM) in Russland. Es ist unglaublich enttäuschend, dass erstmals seit 1982 keine einzige Mannschaft vom afrikanischen Kontinent die Vorrunde überstehen konnte. Schon bei der letzten Endrunden konnten sich stets eine oder maximal zwei (2014: Nigeria und Algerien) afrikanische Teams für das Achtelfinale qualifizieren. Damit schneidet man statistisch nur minimal besser ab als die asiatischen Mannschaften. Dabei spielt der Fußball in Afrika eine so viel größere Rolle, wird geliebt und gelebt. Auch in Russland haben vier asiatischen Teams insgesamt mehr Punkte (14) geholt als fünf afrikanische (11). Man muss sich ehrlich eingestehen: Noch immer sind afrikanische Teams von der Weltspitze weit entfernt.
Doch trotz dieses schlechten Resultats macht die WM in Russland für die Zukunft des afrikanischen Fußballs Hoffnung. Um zu verstehen, warum, lohnt sich ein Blick auf die einzelnen Teilnehmer. Nehmen wir beispielsweise Marokko: Die Mannschaft hatte unglaubliches Lospech, erwischte mit Europameister Portugal, Spanien und dem Iran eine absolute Hammergruppe. Und auch wenn die Nordafrikaner das Turnier als Gruppenletzter mit nur einem Punkt beendeten, konnten sich ihre Auftritte durchaus sehen lassen. In allen drei Partien waren sie dem Gegner ebenbürtig. Gegen den Iran verloren sie durch ein Eigentor in der Nachspielzeit, davor waren sie die spielbestimmende Mannschaft. Auch gegen Portugal waren die Marokkaner das deutlich bessere Team, jedoch nicht clever genug, daraus Kapital zu schlagen. Ein frühes Tor von Cristiano Ronaldo reichte für einen schmeichelhaften portugiesischen Sieg. Und gegen Titelfavorit Spanien spielte Marokko 2:2. Die Europäer kamen erst in der letzten Minute zum Ausgleich, und der war auch noch irregulär. Zusammengefasst: Die Marokkaner zeigten ihr Potential, spielten aber die erste WM seit 1998, waren somit vermutlich zu unerfahren und hatten in entscheidenden Momenten auch noch Pech. Sollten sie sich für die WM in vier Jahren wieder qualifizieren, könnte das schon ganz anders aussehen. Auch der Nachbar aus Algerien musste 2010 Lehrgeld zahlen, erreichte vier Jahre später in Brasilien das Achtelfinale, wo die Nordafrikaner dann fast den späteren Weltmeister Deutschland in die Knie gezwungen hätten.
Auch Tunesien hatte großes Lospech, erwischte mit Belgien und England gleich zwei europäische Schwergewichte. Doch auch hier muss gesagt werden: Die Nordafrikaner zeigten eine respektable Leistung. Im ersten Spiel siegte England erst dank eines Treffers von Superstars Harry Kane in der Nachspielzeit. Gegen Belgien versuchten die Tunesier mutig mitzuspielen, waren schlussendlich aber in der Defensive zu offen. 2:5 endete die Partie. Im letzten Gruppenspiel gewannen die „Adler von Kartagho“ 2:1 gegen Panama. Es war der erste tunesische Sieg seit 1978.
Nigeria, geleitet vom deutschen Trainer Gernot Rohr, fehlten nur wenige Minuten um das Achtelfinalticket zu buchen. Nach einer Niederlage gegen Kroatien zum Start (0:2) und einem Sieg gegen Island (2:0) reichte gegen Vizeweltmeister Argentinien ein Unentschieden fürs Weiterkommen. Bis zur 86. Minute hielten sie ein 1:1, dann zerstörte Marcos Rojo jedoch die Träume von der nächsten Runde. Dennoch wirkte Nigeria insgesamt erfrischend stabil und organisiert. Anders als in den Endrunden zuvor gab es im eigenen Lager keinerlei Nebenschauplätze, keine Prämienkriege, die die Vorbereitung störten. Am Ende reichte es vor allem auf Grund der fehlenden Erfahrung nicht: Nigerias Team war eines der jüngsten bei dieser Endrunde. Auch hier gilt: Sorgt der nigerianische Verband weiterhin für Stabilität und Ruhe, könnte sich die Mannschaft bis zur nächsten WM gut entwickeln. Der Grundstein ist gelegt.
Das ohne Frage erfolgreichste afrikanische Team in Russland war aber der Senegal. Mit vier Punkten holte das westafrikanische Land die meisten Punkte und verpasste das Achtelfinale nur auf Grund der Fairplaywertung gegenüber Japan. Senegal siegte im ersten Spiel 2:1 gegen Polen, holte ein 2:2 gegen Japan und verlor 0:1 gegen Kolumbien. Schon ein Remis gegen die Südamerikaner hätte für das Weiterkommen gereicht, doch Trainer Aliou Cissé ließ seine Mannschaft zu defensiv auftreten, spielte auf Unentschieden, was ihm schließlich zum Verhängnis wurde, denn die Punktgleichen Japaner hatten in den drei Vorrundenpartien weniger Gelbe Karten bekommen und konnten somit das Ticket ins Achtelfinale buchen. Dennoch hat Cissé etwas Wichtiges bei dieser WM gezeigt: Afrikanische Team sollten zukünftig viel öfter auf einheimische Trainer vertrauen. Das was in Europa selbstverständlich ist, ist südlich der Sahara nämlich noch immer eine Rarität. 25 Teams aus Subsaharaafrika traten bereits bei der Fußball-Weltmeisterschaft auf, 20 von ihnen wurden von Ausländern betreut. Schon Kameruns Sturmlegende Samuel Eto’o betonte: „Afrikaner müssen an Afrikaner glauben. Wir haben in Afrika so viele Spieler, die auf höchstem Level gespielt haben, später als Coach aber keine Chance bekommen haben. Mit einheimischen Trainern könnten wir mehr mehr Erfolg haben, denn sie verstehen besser, wo die Spieler herkommen.“ Der Auftritt des Senegals bei der WM unterstreicht trotz Vorrundenaus die Worte des ehemaligen Stürmerstars. Die Westafrikaner präsentierten sich äußerst geschlossen und stabil, eben als feste Einheit, was bei vielen afrikanischen Auswahlen in der Vergangenheit nicht der Fall war. Es bleibt zu hoffen, dass sich die afrikanischen Verbände den Senegal als Vorbild nehmen und den eigenen Landsmännern vertrauen.
Die einzige wirklich herbe Enttäuschung waren die Ägypter, die alle drei Gruppenspiele verloren. 0:1 gegen Uruguay, 1:3 gegen Russland und 1:2 gegen Saudi-Arabien. Zwar verpasste der große Superstar Mohamed Salah nach seiner Verletzung im Champions-League-Finale gegen Real Madrid das erste Spiel gegen die Südamerikaner, vermutlich hätten die Pharaonen aber auch mit einem fitten Salah nicht mehr geholt. Zu schwach präsentierten sich die restlichen Spieler im Kader.
Alles in allem bleibt zu sagen: Die afrikanischen Teams haben bei der WM in Russland Lehrgeld bezahlt, doch die Pfeile befinden sich in der richtigen Richtung. Es wäre so schön, wenn sie es auch in Zukunft bleiben.
Arsenij Zakharov
Foto: Marco Verch/ flickr.com, CC BY 2.0